Leica Fotografie
Nr. 5 September / Oktober 1952

Umschau Verlag Frankfurt a.M.
18 x 24 cm
Klammerheftung

In einem Essay auf Seite 170 schreibt Toni Schneiders unter dem Titel "Meister der Leica":
Es stimmt durchaus bedenklich, wenn man sieht, was heute in Ausstellungen und Jahrbüchern als "Moderne Fotografie"
dargeboten wird. Verzerrte und verlogene Abbilder ohne Inhalt, ohne geistiges Niveau, herrschen vor. Der ganze
technische Apparat der Fotografie wird eingespannt mit dem einzigen Ziel, den Betrachter zu bluffen.
In der Reportage wird alles vor das eiskalte Auge der Kamera gezerrt und mit dem Elektro-Blitz auch in die intimsten
Winkel menschlicher Schwäche und menschlichen Elends hineingeleuchtet.
Durch die Brille „Moderner Fotografie“ betrachtet möchte man fast glauben, dass abgeblätterte Hauswände,
hungernde Kinder und deformierte Frauen die bemerkenswertesten Erscheinungen des 20. Jahrhunderts sind.
Diese Bildvorwürfe werden nicht etwa fotografiert, weil eine innere Notwendigkeit dafür vorliegt, sondern weil es
gerade mal Mode ist, „in sozial zu machen“ ! Wie jede Sache, die gut und erfolgreich ist, haben leider auch die
ausgezeichneten Bildberichte von Eugene Smith, Ernst Haas, Mc Combe und Werner Bischof (um nur einige zu
nennen), zu schnell Schule gemacht und ihre Nachahmer gefunden, ohne dass einer davon auch nur das gleiche Niveau
der Leistung erreicht hätte. Andere legen keinen Wert auf eine technisch gute Aufnahme und „gestalten“ ihre Fotos
in der Dunkelkammer. Die unmöglichsten Dinge werden zusammenmontiert. Und wenn man mal von einer
Maiglöckchen-Aufnahme eine gute Solarisation gelingt, wird diese gleich ettikettiert mit MODERN und KUNST.
Man muss sich nun fragen, was ist modern und was ist Kunst ? Modern sind unsere Mittel und die damit verbundenen
Aufnahmemöglichkeiten. Auf ein Foto übertragen sagt modern doch nur, dass dieses Bild der Mode,
d.h. der jeweilig herrschenden Zeitströmung unterworfen ist.
Eine gute Fotografie ist zeitlos !
Mit dem Ausruck KUNST sollen wir Fotografen doch etwas bescheidener sein. Ein Klavierkonzert von Beethoven,
eine Bachsche Fuge, ein Werk Michelangelos, Gemälde von Dürer, Rembrandt, van Gogh und Paul Klee
sind Kunst und vom „Atem des Göttlichen angeweht“. Die Fotografie hat ihre grundlegenden Impulse stets
von der Malerei und Graphik erhalten, und ihre Entwicklung ging bisher mit der der bildenden Künste parallel.
Alle „Ismen“ finden wir in der Fotografie wieder und dennoch hat die Fotografie ihre eigenen Gesetze. Ihre
Ausdrucksmöglichkeiten werden nie das geistig-schöpferische Niveau hoher Kunst erreichen können.
Trotzdem gibt es Fotografen mit einer eigenen Handschrift, und darunter auch solche, die man getrost als Künstler
bezeichnen kann. Diese haben aber die Bescheidenheit der wirklich schöpferischen Menschen und dulden nicht,
als Künstler angesprochen zu werden. Ihre Bescheidenheit und ihre Arbeiten sollten uns Vorbild sein für
unser Schaffen. Wir sollten wieder lernen, unsere Umwelt positiver zu sehen und gegen uns und unsere Arbeit
ehrlicher zu sein:
Einfach, klar und wahr.

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